Nancy Stokes (Emma Thompson) ist in Rente, verwitwet und sehnt sich nach einer langweiligen Ehe nach etwas Aufregung in ihrem Leben – am besten Aufregung romantisch-sexueller Natur. Die Lösung für ihr Begehren liegt dabei auf der Hand: Sie bestellt einen Callboy zu sich ins Hotel.
Als der Sexarbeiter Leo Grande (Daryl McCormack) dann plötzlich mit seiner Jugend und seinem ansehnlichen Körper vor der ehemaligen Religionslehrerin steht, ist die sonst so selbstsichere ältere Frau aber plötzlich doch nervös. Vorsichtig muss Nancy sich an diese neue Situation erst herantasten. Leo aber bringt die nötige Ruhe, einen großen Charme und viel Einfühlungsvermögen mit, um seiner Kundin eine Nacht der Freude zu bescheren. Am Ende warten dabei nicht nur Sex und eine gehörige Portion neuer Selbsterkenntnisse auf sie, sondern auch eine echte menschliche Verbindung.
Nackt vor dem Spiegel zu stehen, ohne dabei den Bauch einzuziehen, den Körper zur Seite zu drehen oder sonst irgendwie in ein gutes Licht zu rücken, wie es ihre Figur Nancy tut, sei denn auch das Schwerste gewesen, das sie in ihrer Schauspielkarriere je vollbringen musste, sagte Thompson. Wie alles in diesem Film meistert sie auch diese Szene mit Bravour. Und auch von ihrem Filmpartner Daryl McCormack, bei dem jede Nuance sitzt, wird künftig noch zu hören sein.
Am Ende ist Nancy mit sich und ihrem Körper zufrieden – und entlässt ein zufriedenes Publikum aus dem Kinosaal.
„Meine Stunden mit Leo“ bietet weit mehr als unterhaltsame 96 Minuten über eine alte Jungfer, die es noch einmal wissen will. Sophie Hyde ist das kleine Kunststück geglückt, einen Film über Lust, Lebenslügen und die heilende Wirkung von Sex zu drehen, der zu gleichen Teilen amüsiert, nachdenklich und versöhnlich stimmt und dabei ungemein sexy ist. Die von ihr angesprochene Fehlkommunikation besteht darin, sich die eigene Lust nicht eingestehen zu wollen oder, hat man sie sich endlich eingestanden, sich nicht zu trauen, sie mit jemand anderem zu teilen. Was wiederum mit der Scham zu tun hat, die Thompson während der Pressekonferenz bei der Berlinale, wo der Film nach seiner Weltpremiere beim Sundance Film Festival in der Sektion „Berlinale Special“ zu sehen war, wie folgt auf den Punkt brachte: „Das ist das Problem, nicht wahr, dass Frauen ihr ganzes Leben lang einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, ihre Körper zu hassen.“ (Filmkritik von Falk Straub, KINO-ZEIT)